Der urbane Holzbau in Berlin hat nach der allgemeinen Flaute im Bauwesen im ersten Jahrzehnt nach dem Jahr 2000 begonnen. Vielleicht war der Zündfunke das Projekt E3 der Architekten Kaden+Klingbeil ab dem Jahr 2007. Das Wohnhaus war insofern wegweisend da die Berliner Bauordnung 2006 die zulässige Geschossanzahl für Holzbauten von drei auf fünf erhöhte, die Architekten aber mit 7 Geschossen den Bauantrag wagten. Um dies zu erreichen mussten die Architekten mehrere genehmigungsrechtliche Kunstgriffe anwenden. Es gibt ein außenliegende Treppenhaus aus Stahlbeton, sowie zusätzliche Gutachten eines Brandschutzprüfers und eines Tragwerksplaners. Konstruiert ist das Wohnprojekt aus Stützen und Riegeln, bestehend aus Brettschichtholz sowie Holz/Betonverbunddecken. Das außenliegende Treppenhaus entwickelte sich zum zu einem langjährigen Erkennungszeichen des Architektenbüros, jetzt unter dem Namen Kaden+, die inzwischen im ganzen Bundesgebiet Holzbauten errichtet haben.
An der TU Braunschweig existierte 2007 das Verbundforschungsprojekt zum urbanen Holzbau mit dem typischen Fördernamen „Fertighauscity5+“. Ziel war den Wohnungsbau aus Holz so aufzustellen, das Gebäude der Klasse 4 (OKFF < 13m) ohne Einzelfallregelungen möglich werden.
Daran waren unter anderem mehrere später in Berlin tätige Architekten beteiligt: Ulrich Schop, Philipp Koch, Daniel Rozynski und Matthias Schrimpf die Mitbegründer des „Instituts für urbanen Holzbau“, aus dem wiederum mehrere Architektenbüros hervorgingen. Diese haben vorerst in Baugruppen den urbanen Holzbau in Typologie und Technik fortentwickelt. Erstes Ergebnis 2009-2012 war das Projekt 3XGrün mit 13 Wohneinheiten in Pankow. EG, Brandwände und Treppen sind in StB konstruiert, die Obergeschosse 1. bis 4. wurden mit 18cm Holzmassivdecken auf Holzstützen und Tafelwänden errichtet. Im Gegensatz zum Projekt E3 kommt maximal die Kapselklasse E30 zur Verwendung und es bleiben mit Absicht viele Holzflächen sichtbar.
Ab jetzt wagen sich auch weitere Berliner Büros, an den Holzbau. Zwei gegensätzliche Beispiele wie der Holzbau in den folgenden Jahren in der Praxis ankommt: 2014 entsteht ein grosses Genossenschaftsprojekt, das Spreefeld mit 9.500 m2 BGF. geplant von drei Berliner Architekturbüros. Hier besteht nur die Fassade aus Holztafelaussenwänden mit Holzfaserdämmplatten. Die Gestaltung ist nicht übermäßig ambitioniert, der Schwerpunkt des Projektes liegt in der intelligenten Verschränkung der Bedürfnisse der Gesellschafter und damit der Grundrisse. Der Holzbau der Hülle dient als günstiges und variables Konstruktionsprinzip. Oder das für dynamische Schwünge bekannte Büro GRAFT, das den Holzbau 2015 als Vehikel für die Erfüllung der Wünsche seines trendbewussten Klientel benutzt: „Holistic Living“ sind drei in den aufgehenden Geschossen aus Holz errichtete Plusenergievillen in Zehlendorf. Auch hier gibt es keine konstruktiven Ambitionen.
Nun begannen auch Immobilienentwickler und Wohnbaugesellschaften die Vorteile des Holzbaus für sich zu entdecken. Wesentlicher Vorteil erscheint den Wohnungsbauunternehmen aber neben der Ökologie, die kürzere Bauzeit und damit der eventuell sinkende Kapitalbedarf um den zwischenzeitlich gravierend werdenden Wohnungsmangel zu begegnen. Ein Beispiel ist die Wohnungsbaugenossenschaft „Am Ostseeplatz“. Sie lies zwischen 2017-2018 drei siebengeschossige Wohnhäuser und Ladeneinheiten mit 9.000m2 BGF direkt neben der Bahntrasse in der Lynarstrasse errichten. Nicht umsonst wurde die Konstruktion mehrfach ausgezeichnet: Bis auf die Balkone ab dem ersten Stock einschließlich Fahrstuhlschacht ein kompletter Holzbau in Gebäudeklasse 5. Zum Zeitpunkt der Genehmigung 2017 waren noch umfangreiche Aussnahmegenehmigungen erforderlich die zu Aussentreppen und kompletter Ausstattung mit Rauchmeldern führten.
Im Frühjahr 2018 wurde die Genehmigung von Holzbauten in Berlin dann weiter vereinfacht. Nun muss der Brandschutz tragender Teile nicht länger über Ausnahmeregelungen nachgewiesen werden.
§ 26: „Abweichend von Absatz 2 Satz 3 sind tragende oder aussteifende sowie raumabschließende Bauteile, die hochfeuerhemmend oder feuerbeständig sein müssen, in Holzbauweise zulässig, wenn die erforderliche Feuerwiderstandsfähigkeit gewährleistet wird.“
Die Howoge legte 2019 ein Programm mit dem Namen „Urbaner Holzbau“ auf und im selben Jahr wurde der erste Berliner Holzbaupreis mit dem Ziel ausgelobt:
In der Stadtentwicklung Berlins sollen Holzbauten zukünftig eine größere Bedeutung und eine höhere Präsenz im Stadtbild erhalten. Damit soll ein erheblicher Beitrag zur Nachhaltigkeit und zum ökologischen Bauen geleistet und die Baukultur gefördert werden.
Eingereicht wurden 58 Projekte darunter 42 Neubauten. Ein klares Zeichen das der Holzbau in den letzten 15 Jahren in Berlin den Kinderschuhen entwachsen ist und das sich auf Seiten der Verwaltung eine Bewusstsein für die Bedeutung entwickelt hat. Dazu kommt die Förderung für die Schulbauoffensive in deren Rahmen die Howoge bereits drei Schulen aus Holz errichtet hat. Erstes Beispiel war die 2019 fertiggestellte ISS Mahlsdorf mit ca 9.000 BGF errichtet von Kauffmann Bausysteme entsprechend dem bei der Frankfurter Europaschule bekannten ISM Modulprinzip.
Ein vorläufiger konstruktiver Höhepunkt wird das 98m und 29 Etagen hohe Woho (Wohnhochhaus) des norwegischen Büros Mad Arkitekter für einen Berliner Projektentwickler am Anhalter Bahnhof das ab 2024 gebaut werden soll. Konstruiert werden nur die Treppenhäuser und Aufzugsschächte aus Beton.
Der Höhepunkt in der Masse wird das Schumacher Quartier mit der Tegel Projekt GmbH. Deren Geschäftsführerin Gudrun Sack verspricht das über 5.000 Wohnungen in Holzbauweise entstehen werden. Wer sich mit den bislang in Berlin errichteten Holzbauten bekannt machen will, findet seit 2020 im Berliner Holzbauatlas genug Anschauungsmaterial.